12/12/2025 0 Kommentare
„Ein Aufkleber, der Fragen stellt“ - Gedanken zur Advents- und Weihnachtszeit
„Ein Aufkleber, der Fragen stellt“ - Gedanken zur Advents- und Weihnachtszeit
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„Ein Aufkleber, der Fragen stellt“ - Gedanken zur Advents- und Weihnachtszeit
Neulich blieb ich am Ortseingang von Neuenkirchen stehen – vor einem unserer kirchlichen Hinweisschilder. Ein wilder Mix aus Aufklebern klebte darauf, so groß, dass man die Information zum evangelischen Gottesdienst kaum noch erkennen konnte.
Für viele wäre das eine Kleinigkeit. Ein Fall für den Bauhof, erledigt in zehn Minuten. Für mich war es ein Moment, der hängen blieb.
Nicht, weil ich mich über die Sachbeschädigung ärgerte. Sondern weil dieser überklebte Hinweis auf den Gottesdienst sinnbildlich zeigt, was mich – gerade jetzt im Advent – beschäftigt: Glaube und Kirche sind für viele Menschen zu etwas geworden, das man im Alltag leicht überkleben kann. Mit Terminen. Mit Arbeit. Mit Freizeitstress. Mit den zahllosen digitalen Ablenkungen unserer Zeit.
Wenn Kirche aus dem Blick gerät
Ich nehme wahr, wie sich Menschen von Kirche und Glauben entfernen. Nicht aus Trotz, nicht aus prinzipiellem Protest – sondern oft aus Gleichgültigkeit oder Überforderung. Fragen wie „Was bringt mir der Glaube?“ oder „Warum sollte ich in den Gottesdienst gehen?“ werden immer weniger gestellt, weil die Beziehung zum Glauben vielen ganz abhandengekommen ist.
Wir als Evangelische Kirchengemeinde Neuenkirchen-Wettringen sind nicht ganz so dramatisch von Austritten im Vergleich anderer Regionen betroffen. Für das laufende Jahr 2025 rechnen wir mit etwa 40 Austritten. Und doch spüren wir dieselbe gesellschaftliche Bewegung: Das Evangelium spricht viele nicht mehr selbstverständlich an.
Dabei zeigt schon ein Blick auf die Initiativen der Evangelischen Kirchen – zum Beispiel auf der Internetseite „www.kirchensteuer-wirkt.de“ –, wie viel Gestalt kirchliche Arbeit tatsächlich hat: Jugendgruppen, Seniorenarbeit, Seelsorge, Unterstützung in Krisen, offene Türen für Menschen, die sonst nirgends hingehen können oder wollen.
Die Wahrheit hinter der Weihnachtsidylle
Bald werden unsere Kirchen wieder voll sein. Und ich freue mich darauf. Aber ich frage mich jedes Jahr aufs Neue:
Wissen wir eigentlich noch, was wir feiern?
Weihnachten ist längst zum Fest der Erwartungen geworden. Technik, Geschenke, Dekoration, perfekter Familienabend. Und wenn es gut läuft, ein paar Stunden echter persönlicher Begegnung.
Doch die Realität sieht oft anders aus: Einsamkeit wächst. Viele Menschen stehen mitten in einer scheinbar heilen Weihnachtswelt – und fühlen sich darin völlig verloren. Das merken wir in Gesprächen, in Hausbesuchen, in Momenten, in denen Menschen sich öffnen.
Und genau dort beginnt die eigentliche Weihnachtsbotschaft: Ein Kind in einem Stall. Eine unscheinbare Szene, die Veränderung bringt. Gott wird Mensch, um uns nahe zu kommen, mitten in unseren Unsicherheiten, Sorgen und Dunkelheiten.
Was ein Gottesdienst bewirken kann
Manchmal frage ich mich, wie es wäre, wenn Menschen einfach einmal wieder einen Gottesdienst besuchen – nicht jedes Wochenende, nicht aus Pflicht, sondern vielleicht ein- oder zweimal im Monat.
Nicht, um etwas „abzuhaken“, sondern weil dieser Ort ein Gegenpol sein könnte:
- zu Hektik und Dauererreichbarkeit,
- zum Gefühl, funktionieren zu müssen,
- zu den Nachrichten, die täglich auf uns einstürmen.
Ein Gottesdienst schenkt etwas Seltenes: Zeit, in der niemand etwas von einem verlangt. Worte, die nicht laut sind, aber tief gehen. Gemeinschaft, in der man nicht bewertet wird.
Und vielleicht ist genau das der Grund, warum manche nach Jahren wiederkommen – leise, vorsichtig, aber suchend.
Ein Aufkleber – und eine Chance
Die Aufkleber werden bald entfernt sein. Das Schild wird wieder so aussehen wie vorher.
Aber die Frage, die dieser kleine Vorfall aufgeworfen hat, bleibt für mich bestehen:
Was überklebt in unserem Leben eigentlich das, was uns wirklich Halt geben könnte?
Wenn wir in diesem Advent und an Weihnachten einen Moment innehalten, könnte vielleicht etwas sichtbar werden, das tiefer reicht als Konsum und Kalenderstress: die Zusage, dass wir nicht allein sind.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine Advents- und Weihnachtszeit, die berührt, die zur Ruhe führt und die vielleicht eine neue Spur legt – hin zu Gemeinschaft, Glauben und Zuversicht.
Sönke Delarue Vorsitzender des Presbyteriums Evangelische Kirchengemeinde Neuenkirchen-Wettringen
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